Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR)

Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR) 
ist eine Behandlungsform in der Psychotherapie zur posttraumatischen Stressbewältigung.

Während der Behandlung soll sich der Klient auf eine besonders belastende Phase seines traumatischen Erlebnisses konzentrieren. Der Therapeut animiert ihn dabei, mit den Augen seinen langsamen Fingerbewegungen zu folgen.

Dies führt bei den Klienten zu einer spürbaren Verringerung der Ängste, die aus diesen Erinnerungen hervorgerufen werden.

Auf den ersten Blick ähnelt das EMDR der Hypnose: Eine Konzentrationsphase, die durch die Fingerbewegungen eines Therapeuten intensiviert wird. Jedoch wird beim EMDR der Klient nicht in einen Trance-Zustand versetzt, um dadurch Zugang zu unterbewussten Erinnerungen zu erlangen, sondern die Bewegungen der Augen unter Anleitung selbst bewirken die Verbesserung. EMDR ist also eine Art Physiotherapie für die Psyche.

Wie wirkt EMDR ?

Die genauen Vorgänge sind noch nicht endgültig geklärt. Es wird vermutet, daß sich durch die Augenbewegung eine Veränderung der Informationsverarbeitung im Gehirn ergibt. Durch diese Veränderung ist es möglich, Zugriff auf ansonsten verborgene Gedächtnisinhalte zu bekommen. Diese können so verändert werden, daß sie ihre steuernde Kraft für gegenwärtiges Verhalten verlieren.

Auflösung dysfunktionaler Speicherung mit EMDR.

Bei der Behandlung mit Hilfe von EMDR geht es darum, das Informationsverarbeitungssystem des Patienten zu aktivieren, so daß die dysfunktionalen Informationen neu verarbeitet und verändert in das System der sonstigen Lebenserfahrungen eingebettet werden können. Unter EMDR gelingt es, diese alten, nicht vollständig verarbeiteten Informationen neu zu integrieren und sie auch zusammen mit anderen Erfahrungen gemeinsam denken zu können. Die verwendete Technik ist recht simpel. Am häufigsten wird die Stimulation des Gehirns durch die horizontale Bewegung von zwei Fingern vor den Augen des Patienten erreicht. Der Patient beobachtet die Finger lediglich durch die Hin- und Herbewegung seiner Augen. Während dieser ca. 25 Bewegungsfolgen dauernden Sequenzen befindet sich das Gehirn in einem beschleunigten Verarbeitungsmodus, der es ermöglicht, daß die jeweils angesprochenen dysfunktionalen Inhalte neu verarbeitet und integriert werden können.

Ziele in der Behandlung mit EMDR:

– die angstmachenden Situationen selbst

– die negativen Einstellungen zur eigenen Person

– Konflikte mit den Leistungsanforderungen der Umgebung

Dysfunktionale Speicherungen ohne Vorliegen eines Traumas

Im Leben von vielen Menschen geschehen Situationen, die so geartet sind, daß die damit zusammenhängenden Sinneserfahrungen unverarbeitet im Gehirn gespeichert bleiben, auch wenn diese Erfahrung nicht den Charakter eines Traumas hat. Einige Verfasser benennen solche Erfahrungen als Minitraumata. Entscheidend für die dysfunktionale Speicherung ist die Überlastung der Sinnessysteme. Sie entsteht, wenn Sinneserfahrungen und damit verbundene Gedanken, Gefühle, Körperempfindungen und Verhaltensmuster aufgrund einer situativen Überforderung nicht mehr auf gewohnte Weise ins Gedächtnis eingeordnet werden können. Wenn die Verarbeitungskapazität nicht ausreicht, die neuen Erfahrungen in bereits bestehenden Kategorien und Schemata richtig zuzuordnen oder gegebenenfalls neue zu bilden, kommt es zur dysfunktionalen Speicherung und damit zu Effekten und Folgeerscheinungen, wie sie auch bei den “echten” Traumata vorzufinden sind. Ein Hinweis auf das Vorliegen einer Dysfunktion ist die Tatsache, daß die Erinnerung an das betreffende Ereignis noch die gleichen negativen Selbstzuschreibungen, den gleichen Affekt und die gleichen körperlichen Empfindungen hervorruft, die die betreffende Person bereits am Tage des Geschehens selbst erlebt hatte. Da Kinder weniger Möglichkeiten als Erwachsene haben, belastende Erfahrungen psychisch abzuwehren und zu bewältigen, geschehen die meisten dysfunktionalen Speicherungen vermutlich in der Zeit der Kindheit. Da sich belastende Kindheitserfahrungen häufig der bewußten Erinnerung des Erwachsenen entziehen, sind Dysfunktionen im Hintergrund psychischer Störungen häufig nur zu erahnen. Dysfunktionale Speicherung entzieht sich der Weiterbearbeitung durch neue Erfahrungen, bleibt also lebenslang erhalten.

Eine Therapiesitzung des EMDR ist in mehrere Stationen gegliedert.

Schritt 1: Vorgeschichte und Behandlungsplanung

In dem Gespräch muss geklärt werden, was geschehen ist, wie der Klient versucht hat, mit den Erlebnissen umzugehen und diese zu bewältigen und ob er Teile der Ereignisse zu verdrängen versucht oder aktiv unterdrückt, indem er sich Fragen dazu entzieht oder die Antwort verweigert. Dies kann so weit reichen, dass er oder sie sich tatsächlich nicht mehr an die Ereignisse erinnern kann.

Der Therapeut versucht dabei, den Klienten in einer distanzierten Sicht auf die geschilderten Ereignisse zu halten, damit der Klient emotional noch nicht in Erinnerungen eindringt und nicht schon zu einem frühen Zeitpunkt damit überfordert wird.

Schritt 2: Stabilisierung

Bevor mit der eigentlichen EMDR-Therapie begonnen werden kann, muss der Therapeut sicherstellen, dass er alle Faktoren, Auslöser und den emotionalen Zustand des Klienten genau kennt. Trifft der Klient während der eigentlichen EMDR-Sitzung auf eine belastende Extremsituation, kann dies die Therapie gefährden.

Der Therapeut lernt den Klienten deshalb im Anamnesegespräch genau kennen und zeigt ihm Wege auf, sich selbst vor einer Überbelastung zu retten. Dabei kann der Behandler bereits mit den bilateralen Augenbewegungen des EMDR arbeiten, um sie dem Klienten als wohltuendes Element für die spätere Behandlung vertraut zu machen.

Der Therapeut vermittelt dem Klienten mögliche Fluchtpunkte wie den sogenannten “inneren sicheren Ort”. Dabei handelt es sich um einen emotionalen Rückzugspunkt in der Gedankenwelt des Klienten, der als Ausweg bei einer psychischen Überbelastung während der Therapiesitzungen benutzt werden kann.

Schritt 3: Bewertung

Der Therapeut findet gemeinsam mit dem Klienten eine einzelne Erinnerung, die für den Klienten das erlebte Negativgefühl so genau beschreibt  wie ein Bild. Dieses Bild wird vom Klienten bewertet und erhält eine negative Umschreibung, etwa “ich habe Angst”, und zusätzlich ein positives Element wie “ich kann die Furcht besiegen”.

Künftig soll der Klient die Situation nur noch mit dem positiven Gedanken verknüpfen und die für ihn belastende Situation mit Hilfe der Augenbewegung in eine neue Bedeutung überführen.

Schritt 4: Desensibilisierung –Durcharbeitung

In dieser vierten Phase der EMDR-Behandlung werden stets die Augenbewegungen als therapeutisches Mittel zur Stressbewältigung eingesetzt. Der Klient fokussiert das vorher isolierte Angstbild in seinen Gedanken und konzentriert sich auf die neue positive Assoziation, die er künftig mit der Erinnerung verbinden möchte. Dabei verfolgt er die Fingerbewegungen des Therapeuten, wodurch die Umarbeitung der Erinnerung im Gehirn ausgelöst und beschleunigt wird.

Von diesem Zeitpunkt an läuft der Prozess eigendynamisch und individuell. Typisch ist eine schnelle assoziative Folge wechselnder sensorischer Eindrücke, Affekte und Gedanken. Sie führt in der Regel zu einer spürbaren Entlastung des Patienten – auch wenn zwischenzeitlich intensivere Affekte anklingen können.

In dieser Phase kommt es häufig zu den sogenannten Abreaktionen: Die emotionale Energie, die die Erinnerung auslöst, wird mit körperlichen Reaktionen entladen. Dabei handelt es sich meist um Weinen, heftiges Atmen. Auch Übelkeit oder Ekel sind möglich. Durch diese Art Blitzableiter verliert die Stresssituation ihre Bedrohlichkeit und wird körperlich spürbar verarbeitet. Meist sind dafür mehrere Sitzungen notwendig.

Schritt 5: Verankerung

Nachdem die Belastung durch die Erinnerung in Phase 4 ausreichend abgenommen hat,  wird die in Phase 3 erarbeitete, oder eine durch den Verarbeitungsprozess verbesserte positive Kognition in Erinnerung gerufen und überprüft.

Kann sich der Klient an das Angstbild ohne Unwohlsein erinnern, wird mittels der Augenbewegungen dieses Gefühl in seiner Erinnerung verankert.

Schritt 6: Körper-Test

Im Körper-Test wird nach eventuell persistierenden sensorischen Erinnerungsfragmenten („Körpererinnerungen“) gesucht und diese werden, wenn nötig, unter Hilfe bilateraler Stimuli reprozessiert.

Sind die als Abreaktionen beschriebenen Symptome verschwunden, also zeigt der Klient keinerlei körperliche Beschwerden mehr, ist die Belastung tatsächlich verarbeitet.

Schritt 7: Abschluss

Abschließend wird die für den Klienten durchaus eindrückliche Erfahrung nachbesprochen. Auch werden Interventionsregeln für die Zeit zwischen den Therapiesitzungen vereinbart. Dies ist sinnvoll, weil der in der EMDR-Sitzung angestoßene Prozess auch nach der Sitzung in abgeschwächter Form weiterlaufen kann. Assoziiertes Erinnerungsmaterial kann in Träumen, Gefühlen und Einfällen auftauchen. Der Klient sollte auf diese Möglichkeit vorbereitet werden.

  • Im Abschlussgespräch wird das Erlebte reflektiert und es ergeben sich Ansätze für die weitere Behandlung. Der Traumatherapeut bereitet den Klienten auf mögliche Träume oder neue Erinnerungen an das Trauma vor, die durch die in Gang gesetzte Verarbeitung entstehen können. Das Führen eines Tagebuchs zu diesen Ereignissen ist für die Therapie oftmals hilfreich.

In weiteren Therapiesitzungen wird überprüft, ob der Klient das Erlebte komplett verarbeitet hat oder neue Aspekte hinzugekommen sind. Erst wenn keine neuen Aspekte und keinerlei negative Emotionen mehr in Zusammenhang mit dem erlebten Trauma entstehen, wird das EMDR als abgeschlossen betrachtet.